Beschäftigungsoffensive
„Die Bahnbranche ist für Menschen in NRW so attraktiv wie nie – diese Chance müssen wir nutzen“
Nordrhein-Westfalen hat die Qualifizierung von Fachkräften für den SPNV zur Chefsache erklärt und ab Herbst 2023 zusätzliche 6 Millionen Euro investiert, um Weiterbildungsmaßnahmen auszubauen und zu beschleunigen. Fokus-Bahn-Projektleiter Heinrich Brüggemann stellt die ersten Erfolge vor.
Herr Brüggemann, warum ist ein Job bei den Bahnen in NRW attraktiv?
Heinrich Brüggemann: „Wer bei einem Eisenbahnverkehrsunternehmen in NRW arbeitet, gehört bis zur Rente zu einer der gefragtesten Berufsgruppen und ist ein wichtiger Teil der Mobilitätswende der Zukunft. Alle sind sich einig, dass mehr Menschen auf das eigene Auto verzichten und stattdessen häufiger Wege mit der Bahn unternehmen müssen. Damit die Bahnen in NRW neuen und alten Fahrgästen ein immer besseres Angebot anbieten können, brauchen wir Fachkräfte, Fachkräfte und noch mehr Fachkräfte.“
Wie meinen Sie das?
Brüggemann: „Neben der maroden Infrastruktur ist die angespannte Personallage das größte Problem der Branche – und das wird sich durch den demografischen Wandel noch verstärken. Bis 2027 werden allein in Nordrhein-Westfalen noch circa 20 Prozent der heutigen rund 3.000 Lokführerinnen und Lokführer in Rente gehen. Gleichzeitig wachsen die Anforderungen durch die Mobilitätswende: Mehr Fahrgäste erfordern schon jetzt mehr Personal. Zudem binden die umfangreichen, immer komplexer werdenden Baumaßnahmen im Schienennetz, ebenso wie akute Infrastrukturstörungen und die damit verbundene Organisation von Ersatzverkehren mehr personelle Ressourcen als je zuvor. Die tägliche Mehrbelastung verteilt sich auf zu wenigen Schultern. Die Branche hat erkannt, dass sie mehr Beschäftigte in allen Bereichen benötigt. Und das so schnell wie möglich.“
"Fokus Bahn hilft, die Ressourcen zu bündeln: Zum Beispiel durch unternehmensübergreifende Kurse und das gemeinsame Bewerberprogramm Die Bahnen in NRW."
Und hier hilft Fokus Bahn?
Brüggemann: „Die elf Eisenbahnverkehrsbetriebe in NRW unternehmen eine Menge, um neue Fachkräfte zu werben und sie stellen mehr und mehr fest, dass sie dabei erheblich erfolgreicher sind, wenn sie dies gemeinsam tun. Fokus Bahn hilft, die Ressourcen zu bündeln: Zum Beispiel durch unternehmensübergreifende Kurse und das gemeinsame Bewerberprogramm Die Bahnen in NRW. Und seit September zündet die Branche noch einmal den Turbo: mit der Beschäftigungsoffensive.“
Was ist dort passiert?
Brüggemann: „Die Eisenbahnverkehrsunternehmen haben verstanden, dass sie nur gemeinsam mehr Personal gewinnen und damit eine spürbare Entlastung der Mitarbeitenden im SPNV und letztendlich mehr Qualität in der Ausbildung und im Betrieb erreichen können. Das alles fördert das Land NRW mit sechs Millionen Euro. Rund 20 Maßnahmen sollen die Resilienz im Gesamtsystem SPNV stärken. Im Fokus stehen zunächst die unternehmensübergreifenden Qualifizierungen für Triebfahrzeugführerinnen und Triebfahrzeugführern.“
Was heißt das konkret?
Brüggemann: „Die Zahl der unternehmensübergreifenden Lokführer-Kurse wird im Jahr 2024 von sieben auf 23 Kurse erweitert, damit stehen rund 345 Kursplätze zur Verfügung, fast 250 mehr als im Vorjahr. Zudem sollen mehr Fachkräfte für die Mitarbeit in den Leitstellen und die Kundenbetreuung gewonnen und qualifiziert werden. Und die Beschäftigungsoffensive hat bereits erste Erfolge zu vermelden: Sowohl was die Steigerung der Personalverfügbarkeit angeht als auch die Qualität der Qualifizierungen.“
Die Bahnen in NRW
Die Website der Bahnen in NRW bündelt alle Aktivitäten und Jobangebote.Offensive für Fachkräfte im Öffentlichen Verkehr
Nordrhein-Westfalen investiert sechs Millionen Euro in die Gewinnung und Qualifizierung von Fachkräften für den Schienenpersonennahverkehr.Geben Sie uns ein paar Beispiele?
Brüggemann: „In den ersten Monaten der Beschäftigungsoffensive wurden mehr als 800 Interessenten für unternehmensübergreifende Lokführerqualifizierungen identifiziert. Über zwei Drittel davon haben bereits eine Berufsausbildung. Fast 150 Teilnehmende sind bereits in einem von bisher 10 Qualifizierungskursen der Beschäftigungsoffensive gestartet. Auch qualitativ konnten wir bereits erste Erfolge anschieben: Durch gemeinsame unternehmensübergreifende Kurse können wir Bewerbern viel öfter Einstiegsmöglichkeiten in ihrer Region bieten, durch mehr Online-Angebote sparen die Teilnehmer Fahrtzeiten, auch Menschen in abgelegeneren Gegenden von NRW können wir so für kleine Einsatzstellen in der Fläche gewinnen. Durch den Ausbau von Sprachschulungen erhöhen wir die Chancen für neuzugewanderte Migranten – über 150 haben bereits diese unterstützte Qualifizierung erfolgreich durchlaufen. Zugleich haben wir eine gemeinsame zentrale Bewerberberatung eingerichtet, die allen Interessenten den Weg durch die Vielfalt an Qualifizierungsangeboten bietet und individuelle Fragen beantwortet. Außerdem haben wir die Standardisierung von Ausbildungsrahmenplänen angestoßen. Für die Beschäftigungsoffensive setzt Fokus Bahn NRW weiter auf das Erfolgsprinzip der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit.“
An wen richtet sich die Beschäftigungsoffensive? Müssen Bewerber/innen besondere Qualifikationen mit sich bringen?
Brüggemann: „Die vorherige Qualifizierung kann ganz unterschiedlich sein. So arbeitet zum Beispiel eine frühere Frisörin jetzt als Triebfahrzeugführerin. Natürlich sind solche beruflichen Umstellungen nicht leicht. Aber wir wollen als Fokus Bahn nicht nur die Qualifizierung der neuen Mitarbeiter vorantreiben, sondern auch sonst jede erdenkliche Hilfestellung während der Ausbildungen oder Umschulungen geben. Zum Beispiel durch Mentorenprogramme, in denen erfahrene Eisenbahner den angehenden Trieffahrzeugführerinnen und -führer mit Rat und Tat zur Seite stehen.“
Wir halten fest: Triebfahrzeugführerinnen und -führer werden akut benötigt. Welche Berufsgruppen noch?
Brüggemann: „Besonders in der Kundenbetreuung ist der Personalbedarf hoch. 600 zusätzliche Vollzeitstellen sollen besetzt werden und die aktuell 1.500 Mitarbeitenden verstärken. Bei 300 Stellen ist uns das bereits gelungen. Ebenfalls sehr gefordert ist die Berufsgruppe der Disponentinnen und Disponenten, besonders angesichts der zunehmenden Störfälle, langfristiger Schienenersatz- sowie kurzfristiger Busnotverkehre. Im Dezember 2022 waren 195 Disponentinnen und Disponenten für die Bahnen in NRW tätig. Für 2023/24 sollen 35 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen und qualifiziert werden. Der erste Kurs mit Teilnehmenden aus vier Eisenbahnverkehrsunternehmen ist im Frühjahr gestartet.“
Wir wissen jetzt, warum neues Personal gesucht wird und was für Berufsgruppen gesucht werden. Fachkräftemangel gilt bundesweit in allen Branchen als große Herausforderung. Wie ist ihr Fazit zur Bewerbergewinnung?
Brüggemann: „Wir haben seit den Anfängen von Fokus Bahn intensiv in die Bewerbergewinnung investiert und gewinnen mittlerweile allein über die Vermarktung unserer Kursangebote über Social Media Kanäle einige Hundert Bewerber pro Monat. Bahnberufe sind aktuell für Menschen in NRW attraktiv wie nie – diese Chance müssen wir nutzen. Mittlerweile sind wir außerdem auf fast allen Jobmessen und Karrieretagen in NRW präsent. Zehn gemeinsam besuchte und durchgeführte Recruiting-Events führten allein in 2023 zu fast 1.500 qualifizierten Gesprächen mit Interessierten und zahlreichen Neueinstellungen. Aber wir probieren auch neue Formate aus, zum Beispiel Job-Speed-Datings.“
Was ist das?
Brüggemann: „Hier treffen Interessenten und EVUs in ungezwungener Atmosphäre aufeinander, die Premiere dieses Formates hat bei der Stiftung Bildung und Handwerk in Gelsenkirchen stattgefunden und war ein riesiger Erfolg. Da kamen in fünf Stunden 300 Einzelgespräche mit Teilnehmenden und schließlich 126 direkte Bewerbungen zusammen. Personalverantwortliche und Mitarbeitende von unterschiedlichen Unternehmen stehen bei solchen Events bereit, die Fragen der Interessenten genau zu beantworten. So wird gemeinsam einen passenden Einstieg in einen Beruf in der Bahnfamilie gefunden.“
Und dieses Jahr?
Brüggemann: „Ein Highlight in diesem Jahr wird der Karrieretag Bahn NRW 2024. Dieser soll unsere Erfolge weiter ausbauen und eine weitere Plattform etablieren, um das Personalproblem mittel- und langfristig in den Griff zu bekommen. Ein Vorteil zu ‚normalen‘ Jobmessen und ähnlichen Veranstaltungen ist hier wie beim Job-Speed-Dating: Der Fokus liegt allein auf den Einstiegs- und Jobchancen in der Bahnbranche. Damit können sich SPNV-Unternehmen in NRW noch effizienter als attraktive Arbeitgeber bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern präsentieren. Durch die Anwesenheit der Bildungsträger sowie einer Kooperation mit Arbeitsagenturen locken wir möglichst viele passende Interessentinnen und Interessenten zum Karrieretag. Der Kennenlern- und Bewerbungsprozess vor Ort soll auch hier möglichst einfach gehalten werden: sowohl für die Bewerberinnen und Bewerber als auch für die Bahnunternehmen.“